Selten ist mir der gesellschaftspolitische Aspekt von Tantra so deutlich geworden wie beim Lesen einiger Gedanken des in Berlin lebenden koreanischen Dozenten für Philosophie und Kulturwissenschaften Byung-Chul Han. Dieser sagt z.B., dass in unserer Gesellschaft ein Widerstand gegen das System undenkbar ist, obwohl die Schere zwischen arm und reich sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene immer grösser wird. Aber wer ist schuld daran? Bei einem genaueren Hinschauen demontiert sich jedes Feindbild, was wir vielleicht aufbauen möchten, wieder von selber. Und wenn wir noch genauer hinschauen können wir herausfinden, dass wir die Grundregeln des neoliberalen Systems in einer Weise verinnerlicht haben, in der jeder für sich gegen sich selber und gegen die anderen kämpft. Das neoliberale System ist dabei so schlau uns weisszumachen, dass sich dieser unser Zustand „Freiheit“ nennt. Und wir glauben daran. Dabei verwalten wir nur unseren individuellen Zustand als Sklaven des Systems, in dem wir leben.
Das klingt jetzt erst einmal sehr theoretisch und basiert ja auch auf Gedankengängen eines Philosophen, nämlich dem schon genannten Byung-Chul Han. Der weiter unten angeführte Artikel und das Interview enthalten sehr lebendige und alltagsnahe Gedankenansätze, die mehr in die Details gehen als ich es hier tue und die möglicherweise Anregung für eine persönliche Revolution geben können. Denn genau hier kommt für mich Tantra und das mit diesem Wort verbundene Gedankengut ins Spiel. Tantra ist eine permanente persönliche Revolution, ein Bewusstmachen vorhandener Muster und Strukturen auf der individuellen Ebene und zeigt Wege, sich aus diesen Strukturen zu befreien. Tantra lässt die Begrenzungen eines philosophischen Gedankenkonzeptes hinter sich. Byung-Chul Han ist unglücklich. Das sagt er selber. Wenn ich versuchen würde, die Probleme des Lebens allein auf der (philosophischen) Ebene zu betrachten und anzugehen, wäre ich das auch ...
Matthias-Govinda
Lesenswert - Interview mit Byung-Chul Han in der „Zeit“ Lesenswert - Beitrag in der „Süddeutschen“ unter dem Titel „Weshalb heute keine Revolution möglich ist“