Tantra und Ernährung
von Govinda
Tantrisches Bewusstsein durchdringt alle Lebensbereiche. Das hat seinen Sinn, denn nur eine Klarheit über die Umstände, in denen sich mein Körper in dieser Welt bewegt, führt zu einer Haltung und Bereitschaft, die es ermöglicht, das Leben geniessen zu können.
Um es gerne und auch an dieser Stelle noch einmal wieder zu wiederholen - zum Geniessen gehört für einen Tantriker auch ein lebendiges, aufregendes und befriedigendes Sexualleben. Da genau dieses bei vielen Menschen nicht vorhanden ist und sogar von vielen yogischen und tantrischen Richtungen ängstlich ausgeklammert wird, kommen viele Menschen wegen dem Thema Sexualität zum ganzheitlichen Tantra, wie es von uns praktiziert wird. Tantra ist natürlich keine Sexualpraktik, wobei das eine von dem anderen nicht zu trennen ist - um meine Sexualität zu praktizieren ist Voraussetzung, mich selber in meinen Lebensumständen gut zu kennen und in meinem eigenen Körper zu leben. Dazu gehört u.a. auch ein Durchleuchten meiner Ernährung.
Zum Thema Ernährung haben viele yogische und tantrische Traditionen Regeln und Lehren aufgestellt, was nun für die Ernährung eines Tantrikers gut sei und was nicht und was bitte zu welchem Zeitpunkt und bei welcher Gelegenheit zu essen wäre. Diese Listen an Vorschriften widersprechen meines Erachtens einem Grundgedanken des Tantra, bei dem nämlich das Individuum in vollkommener Freiheit und in jeder Etappe des eigenen Lebens neu für sich herausfindet, was nun für das eigene Wohlergehen gut sei und was weniger. Um allerdings herauszufinden, was für einen selber gut ist, mag es hilfreich sein, sich an dem zu orientieren, was andere herausgefunden und oftmals auch in Regelwerken publiziert haben. Doch das allein reicht nicht aus.
Zu einem Durchleuchten der eigenen Nahrungszufuhr gehören Kenntnisse und Informationen über das, was ich überhaupt in mich hineinnehme. Hier sind manche Menschen erstaunlich resistent. Selbst von sehr bewusst lebenden Menschen in meiner Umgebung habe ich immer wieder den Satz gehört, sie wollten lieber nichts davon wissen, welche Stoffe sich in ihrer Nahrung befinden, wo ihre Nahrung herkommt, wie sie behandelt wurde und unter welchen Begleitumständen sie produziert wird. Und ich solle doch bitte schon gar nicht beim Essen über solche Dinge reden! Dabei rede ich gerne beim Essen über das Essen, denn wenn etwas an dem, was sich auf dem Tisch befindet, nicht stimmt, sollte es auch keinen Platz auf dem Tisch und schon gar nicht in meinem Körper finden. Nebenbei bemerkt - ich esse gerne und geniesse es zu essen ...
Gut, ich möchte an dieser Stelle für einen ersten Schritt zum bewussteren Essen nicht unbedingt den Besuch auf einem Schlachthof vorschlagen. Das ist aufwändig und bedeutet meist eine weite Reise, denn aus logistischen Gründen befinden sich solche Zentren zur Massentötung von Tieren heutzutage eh weit weg von unseren Städten. Und einmal bei einem Schlachthof angekommen würden wir vor verschlossenen Türen stehen, denn Einblicke in die Praxis der Massentötung sind unerwünscht. Logistik heisst bei der Ortswahl von Schlachthöfen weniger die Verkehrsanbindung, als die Abtrennung der hier stattfindenden Prozesse vom Lebensraum der Menschen. Denn mit Sicherheit würde ein Grossteil der Bevölkerung auf jeglichen Fleischgenuss verzichten, wenn der Besuch eines Schlachthofs in den Lehrplan der allgemeinbildenden Schulen aufgenommen würde.
Beginnen wir unsere Nahrungsbesichtigung an ganz anderer Stelle - beim täglichen Einkauf im Supermarkt oder gerne auch im Bioladen. Beim eigenen Einkauf anzufangen ist wohl der einfachste Ansatz, überhaupt ein Gefühl für das Thema der eigenen Ernährung zu bekommen. Beim Essen im öffentlichen Raum wird es da schon schwieriger, Informationn über das zu erhalten, was mir auf den Teller getan wird ... Für dieses Vorhaben, einmal Hinzuschauen, spielt es keine Rolle, ob wir Fleisch essen , uns vegetarisch ernähren, im Supermarkt oder im Bioladen einkaufen. So gut wie alle verarbeiteten Produkte und manchmal sogar Obst und Gemüse enthalten Zusatzstoffe, die unsere Gesundheit beeinflussen, von denen wir aber oft nicht einmal wissen, dass sie überhaupt vorhanden sind. Wir schauen also auf das Etikett, für den Fall, dass überhaupt eines vorhanden ist, um zu erfahren, was wir da zu uns nehmen.
Bei diesem Nachforschungen stossen wir schnell auf Hindernisse, denn die einzigen, die uns erzählen könnten, was ihre Produkte enthalten und die uns gleichzeitig so wenig wie möglich über das erzählen möchten, was in ihrer Ware enthalten ist, sind die Hersteller. Und dafür haben sie viele Gründe - die Zusatzstoffe verbilligen den Herstellungsprozess, verlängern die Haltbarkeit, sind hervorragend zur Täuschung des Konsumenten geeignet und verschaffen Geschmacksbindungen an die Produkte des Produzenten. Viele Zusatzstoffe dürfen mit gesetzlicher Billigung Verwendung finden, ohne überhaupt deklariert zu werden. Und wenn von Gesetzes wegen eine Höchstmenge eines bestimmten Stoffes vorgeschrieben wird, da dieser z.B. krebserregend ist, werden gerne vom Hersteller eben mehrere Zusatzstoffe zusammengemischt, um mit einem legalen Cocktail die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Ohne an dieser Stelle weiter in die Details zu gehen - in Hamburg gibt es zentral und doch gut versteckt in einer Ecke des Hamburger Grossmarktes ein kleines Museum, das Deutsche Zusatzstoff-Museum. Ein kurioses Museum. Ein Ort für Tantriker, denn wohl nirgends in Deutschland ist es möglich, sich so umfassend mit einem Thema auseinanderzusetzen, das wie schon gesagt uns alle betrifft.
Der Besuch lohnt, wann immer Du dafür Zeit hast. Aktuelle Infos findest Du auf der Webseite des Museums.
Und noch etwas - was wir essen wird wie vieles andere auch oftmals von Gewohnheiten bestimmt. Ungeprüfte Gewohnheiten haben die Eigenschaft uns zu suggerieren, dass es uns bei einer Veränderung schlecht gehen wird, sehr schlecht sogar. Aus diesem Grunde werden die meisten Menschen gar nicht bis hierhin gelesen haben, denn bewusste Ernährung klingt für viele bedrohlich. Es steht die Frage im Raum, was ich denn überhaupt noch essen werde, wenn ich beginne, meine Essgewohnheiten zu hinterfragen.
Meine Erfahrung, die ich mit anderen bewusst essenden Menschen teile, ist wie folgt: Mein Körper weiss genau, was er braucht. Je mehr ich meine körpereigene Intelligenz fördere, um so besser geht es meinem Körper! Fremdbestimmte Essgewohnheiten zu durchschauen ist ein Akt der Selbstbefreiung. Es geschieht genau das Gegenteil von dem, was die Gewohnheit und alle die Gewohnheiten fördernden Instanzen mir glauben machen wollten: Essen beginnt viel mehr Spass zu machen und bekommt eine lustvolle Note. Es ist ein wenig wie mit dem Sex - wo vorher Enge herrschte, tut sich durch den bewussten Umgang mit diesem Thema ein weiter Raum auf. Eines stimmt allerdings - im öffentlichen Raum zu essen wird schwieriger ...
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