Am 22. September erscheint das Buch von Susanna. In einem Interview antwortet Susanna den Fragen von Maren Brand:
Frau Rescio, in Ihrem Buch beschreiben Sie, wie die „Prise Unsicherheit“ das Fremde im Partner aufrechterhält – und wie das unser Begehren lebendig hält, unseren Wunsch, den anderen aktiv zu verführen. Gleichzeitig droht das emotionale Gefüge der Beziehung zu kippen, wenn der Partner so fremd wird, dass wir keine oder kaum Nähe zu ihm fühlen. Was hilft Paaren Ihrer Erfahrung nach bei diesem Balanceakt?
Die Frage ist berechtigt und darauf gibt es eine simple Antwort: Autozentrierung! Das bedeutet: sich auf den Weg zu sich selbst zu begeben. Zunehmend in sich selbst zu ruhen, in Kontakt mit den eigenen Werten, Vorstellungen und Wünschen zu sein, und vor allem, sich im eigenen Körper zu verankern. Dann kann unser Körper uns, wenn die Ängste kommen (die wir ja nicht beliebig ausschalten können), wie ein starkes Zuhause schützen, statt wie eine leere Hülle - und wir mit ihm! - umzukippen. Gleichzeitig ist wichtig in Kontakt mit dem Partner zu bleiben, damit die gefährliche Schwelle der emotionalen Entfremdung nicht überschritten wird.
In Ihrem Buch schildern Sie, wie sich der Sex verändert, wenn wir den gesamten Körper in die Erregung einbeziehen – auch auf die Gefahr hin, dass andere, beängstigende Emotionen auftauchen und gesehen werden möchten. Was sind die Herausforderungen, wenn ein Paar sich statt Sex nach Schema F auf dieses gemeinsame Abenteuer der Selbsterforschung einlässt – und was kann sich dadurch in der Beziehung verändern?
Die größte Herausforderung ist, daß wir uns möglicherweise zum ersten Mal dem Partner gegenüber wirklich „nackt“ zeigen, indem wir uns „transparent“ machen und unsere tiefsten Gefühle, Wünsche, Verletzungen sichtbar werden. Daraus entsteht die Möglichkeit einer viel intensiveren Nähe und Intimität, die aber auch Angst machen bzw. überfordern kann. Das Gute daran, ist es daß man allmählich und mit dem Partner in diese Tiefe hinabsteigen und gemeinsam in diese Erfahrung hineinwachsen kann.
Sie unterscheiden den Wohlfühl- und den Entwicklungsmodus. Im Wohlfühlmodus achten wir darauf, dass unsere Bedürfnisse partnerkompatibel sind – auf Kosten der Lebendigkeit, wie Sie schreiben. Aber geht es beim Sex nicht genau darum: Kompromisse zu finden – etwas, das beide mögen?
Ja, sicher! Kompromißbereitschaft ist eine wichtige Voraussetzung für eine Beziehung. Am Anfang einer Partnerschaft checken wir relativ schnell, was der andere mag oder nicht mag und passen wir uns automatisch an, damit überhaupt ein gemeinsamer Nenner entstehen kann. Mit der Zeit melden sich allerdings die Anteile in uns, die keine Resonanz in der Beziehung finden. Der Balance-Akt besteht in der Gratwanderung zwischen der Befriedigung der Bedürfnisse und Vorstellungen des Partners und unserer eigenen. Die Gefahr ist oft die, daß wir auf Dauer uns selbst zu Gunsten der Harmonie in der Beziehung nicht mehr treu bleiben. So oder so kommen wir aber nicht darum herum, uns mit uns selbst zu beschäftigen, um herauszufinden, was uns selbst wichtig ist im Leben, beim Sex, und in der Beziehung.
Sie gehen im Buch darauf ein, welche Rolle die Bindung, die wir als Kleinkind erlebt haben, für spätere Beziehungen hat: Einerseits die Sehnsucht, dieses Bedürfnis beim Partner doch noch stillen zu können, andererseits die Angst, dieser Sehnsucht – und damit dem Partner – ausgeliefert zu sein und ihr bzw. ihm zu verfallen. Die Angst, die eigene emotionale Autonomie zu verlieren. Wie finden Menschen zu einer Beziehung zwischen den Polen Abhängigkeit und Distanz, wenn ihnen die Erfahrung einer sicheren Bindung fehlt?
Das genau ist die Eine-Million-Dollar-Frage! Die Kurzversion, mit einem Wort, ist wieder: Autozentrierung. Die Konfrontation mit dem tiefen Schmerz ist unausweichlich. Aus dieser Erfahrung entsteht allmählich das Wissen, daß man auch diesen tiefen Schmerz überleben kann. Langsam traut sich dann dieser Mensch, sich jemand anderem zu öffnen und zu vertrauen. Aus dieser Nähe und aus der stärkeren Verankerung in sich selbst erwachsen dann der Mut und die Bereitschaft, dem anderen Raum zu geben, Distanz zwischen sich und dem anderen zu erlauben und diese zuzulassen, ohne sich emotional zurückzuziehen.
Was halten Sie für die Erfolgsgeheimnis von Paaren, die über Jahrzehnte zusammen glücklich bleiben?
Diese Paare haben es geschafft, sowohl sich selbst als auch der Beziehung treu zu bleiben. Sie haben - jeder für sich - ein stabiles und flexibles Ich entwickelt, das in einem „bewohnten“ Körper verankert ist. Sie haben gelernt, ihre Ängste und unvermeidlichen Frustrationsgefühle weitgehend selbst zu regulieren. Sie sind aber auch für den Partner da, wenn es wichtig ist und agieren entsprechend den Anforderungen der Situation. Sie haben schließlich erkannt, daß es sich auf jedem Fall lohnt, Durststrecken auszuhalten und Hindernisse gemeinsam mit dem Partner zu überwinden, weil die Beziehung es wert ist. Mit anderen Worten, wiederum: Autozentrierung, ein - wie es der bekannte Autor David Schnarch nennt - stabiles und flexibles Selbst.